Physician Assistance: Eine Chance für die ambulante Versorgung? Medizinassistenten können den Spielraum für ärztliche Delegation erweitern 11/2022 18 Die Herausforderungen in der ambulanten Versorgung sind vielfach beschrieben: die steigende Lebenserwartung der Patienten mit zunehmendem Behandlungsbedarf, das hohe Durchschnittsalter derjenigen, die derzeit eigenverantwortlich eine Arztpraxis führen sowie sich verändernde Wünsche und Erwartungen des medizinischen Nachwuchses nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Klar ist: Es muss dringend Entlastung her. Die Frage, wie diese erreicht und im Praxisalltag organisiert werden kann, stand im Mittelpunkt der Veranstaltung „Entlastung in der vertragsärztlichen Versorgung. Was können NäPa und Physician Assistant in der Praxis leisten?“, die Ende Oktober in Dortmund stattfand. Ein Praxisteam ist meistens ziemlich bunt. Neben den approbierten Ärztinnen und Ärzten gehören je nach Art, Größe und inhaltlicher Ausrichtung der Praxis Medizinische Fachangestellte (MFA, bis 2006: Arzthelferinnen), Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, verschiedene medizintechnische Assistenzberufe (MTA, MTLA, MTRA, PTA usw.) sowie Büro- und Verwaltungsfachkräfte oder auch Gesundheitskaufleute zum Team. Hinzu kommen zahlreiche Qualifizierungsangebote, die dafür sorgen, dass aus einer Medizinischen Fachangestellten zum Beispiel eine EVA (Entlastende Versorgungsassistentin), eine VerAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) oder auch eine AGnES (Arztentlastende, gemeindenahe, e-healthgestützte, systemische Intervention) wird.
Alle diese Fortbildungen setzen auf eine erste qualifizierende Berufsausbildung auf. Mit dem Physician Assistant (PA) kommt nun ein weiterer Beruf hinzu, der das therapeutische Team erweitert. Dieser setzt im Gegensatz zu den erstgenannten ein Bachelor-Studium an einer Hochschule voraus und begründet damit auch eine weitere Hierarchie-Ebene in der Arztpraxis. Zwar ist das Konzept der Physician Assistance (häufig mit Medizinassistenz übersetzt) nicht neu, wie ein Blick in die anglo-amerikanischen Länder und auch die Niederlande zeigt. Allerdings sind entsprechend ausgebildete Medizinassistenten in der ambulanten Versorgung in Deutschland noch die Ausnahme. Um das zu ändern hat die KVWL zusammen mit der EU|FH – Hochschule für Gesundheit | Soziales | Pädagogik ein Projekt gestartet. Die zentralen Fragen sind, wie PA effektiv in die Arbeitsabläufe integriert werden und wie sie konkret das Ärzte-Team dabei entlasten können. Dazu soll unter anderem im Projekt untersucht werden, welche Aufgaben Ärztinnen und Ärzte typischerweise an PA delegieren können. Im Rahmen der Veranstaltung „Entlastung in der vertragsärztlichen Versorgung“ gab Prof. Dr. med. Katharina Larisch, die an der EU|FH den Studiengang „Physician Assistance“ leitet, zunächst einen Überblick über das Curriculum des PA-Studiengangs an der Hochschule. Dieses umfasst neben medizinischen Themen zahlreiche Inhalte aus den Bereichen Kommunikation, Patientencoaching und Prävention, wodurch die Basis für die Übernahme delegierbarer Leistungen in der Patientenversorgung geschaffen wird (vgl. S. 28). Interessierte können das PA-Studium an der EU|FH entweder als berufsbegleitendes Studium in sechs Semestern absolvieren (Voraussetzung: Abitur oder Fachhochschulreife in Verbindung mit einem abgeschlossenen staatlich anerkannten Ausbildung in einem Gesundheits- oder Pflegeberuf) oder aber direkt nach dem (Fach-) Abitur einsteigen und ein Vollzeitstudium beginnen, das sieben oder acht Semester dauert. Parallel zu den bereits vorhandenen Studienangeboten arbeitet der Deutsche Hochschulverband Physician Assistant (DHPA) an einer Vereinheitlichung der Studieninhalte und -anforderungen. Dies sei, bekräftigte Larisch, eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz der Physician Assistants in Deutschland. Ebenso wie eine klare Aufgabenverteilung in der Praxis, damit auch das übrige nicht-ärztliche Praxisteam sicher sein könne, nicht in seinen Kompetenzen beschnitten zu werden. (s. Abb. 20). Dass das PA-Konzept funktioniert, untermauerte sie mit einigen Zahlen aus einer kanadischen Studie. Demnach können PAs in der Primärversorgung für 75 Prozent aller Besuche eingesetzt werden; können PAs bis zu 62 Prozent aller Patienten in der Notfallversorgung betreuen; geben 95 Prozent der Ärzte, die mit PAs zusammenarbeiten, an, dass die PAs ihre eigene Effizienz bei der Patientenversorgung gesteigert haben; sind mehr als neun von zehn Kanadiern zufrieden (75 Prozent) oder eher zufrieden (18 Prozent) mit der Behandlung durch PAs. Auch wenn man bei der Übertragung solcher Ergebnisse von einem Land auf ein anderes immer die unterschiedlichen Gesundheitssysteme im Blick behalten muss, deuten diese Zahlen darauf hin, dass im Einsatz von Physician Assistants in der Patientenversorgung grundsätzlich ein erhebliches Potenzial liegt. Welche Tätigkeiten können an PA delegiert werden? Zur Frage, welche Tätigkeiten ganz konkret an PAs delegiert werden können, stellte Prof. Dr. med. Bernhard Hemming das Konzept der Anvertraubaren Professionellen Tätigkeiten (APT) vor. Hemming ist selbst als Hausarzt in Duisburg niedergelassen und leitet den PA-Studiengang an der FFH Düsseldorf. Darüber hinaus engagiert er sich unter anderem im Arbeitskreis „Akademische Praxisassistenz“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. (DEGAM). Auf der Basis der Delegationsvereinbarung, die sich in der 11/2022 19
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